Zwei Kommentare aus dem Geschichtskurs mit erhöhtem Anforderungsprofil werfen unterschiedliche Perspektiven auf den Ukraine-Krieg:
Ein „neuer“ Kalter Krieg?
Die geopolitischen Spannungen der letzten Jahre haben die Debatte über einen „neuen“ Kalten Krieg befeuert. Der russische Angriff auf die Ukraine und die zunehmend selbstbewusste Außenpolitik Chinas führen dazu, dass immer mehr Beobachter Parallelen zum Kalten Krieg sehen. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/91 hat sich die Welt grundlegend verändert, was die Frage aufwirft, ob wir tatsächlich in eine ähnliche Konfrontation zurückgekehrt sind oder sich die heutige Situation grundlegend vom Kalten Krieg unterscheidet. Ein entscheidender Unterschied ist die ideologische Perspektive. Der Kalte Krieg war geprägt vom Gegensatz der westlichen Demokratie und dem Kommunismus, der sich auch in konkurrierenden Wirtschaftssystemen (Westen Marktwirtschaft, Osten Planwirtschaft) widerspiegelte. Heute wiederum sind diese ideologischen Differenzen eher im Hintergrund. Vor allem geopolitische und machtpolitische Interessen bestimmen heutzutage die internationale Politik. Russland strebt danach, seine frühere geopolitische Bedeutung wiederzuerlangen, wie die Annexion der Krim und der Einmarsch in die Ukraine zeigen. Auch China hat sich zu einem globalen Akteur entwickelt, der seine militärische Präsenz vor allem im Indopazifik ausbaut und Einflusszonen schafft. Ein weiterer Unterschied liegt in der Struktur der globalen Machtverhältnisse. Im Kalten Krieg sprachen wir von einer bipolaren Welt zwischen den USA und der Sowjetunion und heute von einer multipolaren Weltordnung. Die scharfe Trennung zwischen Ost und West ist nicht mehr so stark existent wie vor 34 Jahren. Heute besitzen wir eine Vielzahl von Staaten, die eigenständige Interessen verfolgen. Diese komplexe Machtverteilung wird durch enge wirtschaftliche Verflechtungen ergänzt. Im Kalten Krieg isolierten sich Großmächte wirtschaftlich im Gegensatz zu heute, wo alle globalen Akteure stark miteinander verbunden sind. Ein gutes Beispiel hierfür sind die USA und China, die trotz geopolitischer Spannungen wirtschaftlich eng verbunden bleiben. Diese Abhängigkeiten erschweren militärische Auseinandersetzungen. Die Art der Konflikte ist jedoch sehr ähnlich. Wie im Kalten Krieg kann man auch heute von Stellvertreterkriegen sprechen. Der Krieg in der Ukraine ist ein Beispiel für einen „heißen“ Konflikt, in dem Russland und die Ukraine unmittelbar gegeneinander kämpfen. Der Westen unterstützt mit militärischer Ausrüstung, vermeidet jedoch einen direkten Eingriff, um eine Eskalation zu verhindern. Hier spiegelt sich die Sorge einer nuklearen Eskalation wider, die durch die Modernisierung des russischen Atomwaffenarsenals unterstützt wird. Auch im Indopazifik wächst die nukleare Bedrohung durch den Ausbau Chinas militärischer Präsenz in der Region und die Erweiterung ihrer nuklearen Kapazität, was die Spannungen mit den USA verschärft. Die militärische Aufrüstung und die Machtprojektion durch Großmächte sind weitere Aspekte, die an den Kalten Krieg erinnern. Im Indopazifik versuchen die USA, dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzuwirken, indem sie ihre militärische Präsenz verstärken und neue Bündnisse wie AUKUS mit Australien und Großbritannien eingehen. Auch Länder wie Japan und die Philippinen intensivieren ihre Zusammenarbeit mit den USA, um einer möglichen Eskalation in Taiwan oder im südchinesischen Meer vorzubeugen. Auf der anderen Seite arbeiten Russland und China enger zusammen und kooperieren in internationalen Organisationen wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Anders als der Warschauer Pakt im Kalten Krieg bildet die SOZ jedoch kein geschlossenes militärisches Bündnis, was die Komplexität der heutigen geopolitischen Landschaft unterstreicht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die heutige Welt zwar durch geopolitische Spannungen und Machtkämpfe geprägt ist, die an den Kalten Krieg erinnern, sich aber grundlegend von der damaligen Zeit unterscheidet. Die globalen Konflikte und der Anstieg des nuklearen Bedrohungspotentials rufen Bilder des Kalten Krieges wach, jedoch ist die heutige Welt nicht mehr bipolar, sondern multipolar und stärker miteinander verflochten. Es gibt keine klaren Blöcke mehr und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten erschweren direkte militärische Konfrontationen. Anstelle eines neuen Kalten Krieges könnte man eher von einer Phase der Unsicherheit reden, in der alte und neue Konfliktmuster parallel existieren. Die zentrale Herausforderung besteht darin, die Krisen zu bewältigen und das Risiko einer nuklearen Eskalation zu verhindern. Durch die Beteiligung Nordkoreas am Ukraine-Konflikt und der jüngste Kurswechsel der USA, Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern, werden Bilder der hochriskanten Rüstungsschritte während des Kalten Krieges in den Kopf gerufen. US-Präsident Joe Biden reagierte damit auf die verstärkte russische Militärpräsenz auch mit nordkoreanischer Unterstützung. Dies könnte die Spannung weiter anheizen. Meiner Meinung nach können wir noch nicht von einem „neuen“ Kalten Krieg sprechen, da die heutigen geopolitischen Spannungen in einem völlig anderen globalen Kontext stattfinden. Die Welt ist nicht mehr in zwei ideologisch Blöcke geteilt, sondern von multipolaren Ordnungen und komplexen wirtschaftlichen Verflechtungen geprägt. Dennoch bleibt die Gefahr einer Eskalation real, was die Notwendigkeit unterstreicht, neue Wege der Diplomatie und Konfliktvermeidung zu finden, um einen „neuen“ Kalten Krieg zu verhindern beziehungsweise in einen direkten Konflikt zu geraten.
– Tony Pilz
Ist der Kalte Krieg zurückgekehrt?
Dass wir global in eine Phase von Chaos und Unordnung geraten sind, ist unbestreitbar: Trump wurde wieder gewählt, Russland führt weiterhin Krieg gegen die Ukraine, die Spannungen im Nahen Osten nehmen nicht ab und das BRICS-Bündnis wird um fünf Staaten erweitert.
Es stellt sich somit die Frage, ob man über den turbulenten Zustand der Weltpolitik für längere Zeit die Kontrolle bewahren kann oder die wirre Situation in einen „zweiten Kalten Krieg“ ausartet.
Natürlich ist anzuerkennen, dass in einer modernisierten und globalisierten Welt andere Voraussetzungen gegeben sind als nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Beendigung des Kalten Krieges führte dazu, dass die meisten Handelsschranken und -barrieren abgeschafft wurden.
Im 21. Jahrhundert wird wohl kaum ein Staat mit protektionistischen Prinzipien in einer multipolaren Welt prosperieren – Nationen sind auf wirtschaftlicher und geopolitischer Basis voneinander abhängig. Nichtsdestotrotz weisen einige Entwicklungen in der Weltpolitik auf einen kommenden (neuen) Kalten Krieg hin.
Charakteristische Aspekte für den Kalten Krieg sind die indirekte Kriegsführung und die sogenannten Stellvertreterkriege. Ein aktuelles Beispiel könnte der Russland-Ukraine-Krieg sein. Am 24.02.2022 begann Russland die Invasion in der Ukraine unter Führung Putins. Deutlich wird, dass die Eroberung der ukrainischen Hauptstadt Kiew kaum zu schaffen sei. Grund dafür ist der ukrainische Widerstand, der von den USA und allgemein von der NATO unterstützt und finanziert wird. Somit ist die Unabhängigkeit der Ukraine stark von der NATO abhängig – ein Konzept, was in meinen Augen sehr paradox wirkt, aber durch die bestehende Weltordnung berechtigt erscheint. Die Truman-Doktrin (1947) findet heutzutage immer noch Anwendung: Sie kündigt an, alle freien Völker zu unterstützen, die von Terror bedroht werden. Zwar ist die Sowjetunion längst aufgelöst worden; der expansionistische Wille Russlands nicht. Im Klartext heißt es also: Der Gegner meines Gegners wird unterstützt. Die NATO unterstützt die Ukraine, weil ihre Unabhängigkeit vom Gegner Russland bedroht wird.
In zweiter Hinsicht ist die massive Aufrüstung Indikator für einen anstehenden Kalten Krieg. Russland hat völlig den Kurs gewechselt und auf die Kriegswirtschaft umgestellt. Ein Faktor für den wirtschaftlichen Wandel ist auch die Unterstützung auf Seiten Chinas. Konsumgüter, Mittel zur Aufrüstung, Öl und Gas werden nach Russland importiert. Es wird auf eine verdeckte Mobilisierung gesetzt, die Soldaten werden durch lukrative Angebote gelockt. Bis 2026 sind 1,5 Millionen Soldaten in Russland vorgesehen. Auch die NATO setzt auf eine Aufrüstung: 2% des Haushalts der NATO-Mitgliedsstaaten müssten als Militärausgaben abfließen. Im Jahr 2024 hat die NATO 17,9% mehr für Militär und Aufrüstung als im Jahr zuvor ausgegeben. Je näher sich die NATO-Staaten an der Ukraine befinden, desto mehr wird aufgerüstet (z.B. Polen, Estland). Selbst die Volksrepublik China nimmt am Wettrüsten teil, indem sie die Militärausgaben um 7,2% steigen lässt.
Ein strategischer Zug ist die Bedrohung verfeindeter Staaten durch Raketen, Flugkörper und Waffen. Die USA hat vor, Marschflugkörper auf deutschem Boden zu stationieren. Parallelen zur Kubakrise können gezogen werden, denn durch die Stationierung von Raketen und sonstigen Waffen kann ein Zugang zum Gegner verschafft werden. Putin erklärte im Juni 2024, dass er die Produktion von Mittelstreckenraketen wieder aufnehmen wird – ein Bruch des INF-Vertrages, welcher die Herstellung und den Einsatz dieser ausdrücklich verbietet.
Die gegenseitige Bedrohung geht so weit, dass Kernwaffen herangezogen werden. Die atomare Rivalität zwischen Russland und den USA fand ihren Ursprung während des Kalten Krieges, als die gegensätzlichen Supermächte in vielen Gebieten ebenbürtig waren und keiner den anderen in die Knie zwingen konnte.
Momentan wird Spionage zu Kriegszwecken als Mittel zur Informationsbeschaffung (und in Zukunft vermutlich auch zur gegenseitigen Sabotage) ausgeübt. Es ist zu früh, um über den aktuellen Ist-Zustand zu urteilen; bekannt sind geplante Anschläge auf Produzenten von Rüstungsgütern.
Die Lage hat sich verschärft, die einzige Lösung wäre Kommunikation, Diplomatie und falls nötig ein Anruf am roten Telefon.
–Serena Habibaj