Der Ukraine-Krieg im Kontext der Geschichte des 20. und 21.Jahrhunderts –
Ein Kommentar von Charlotte Werth
Europa – heute gilt es als der Inbegriff für Frieden, Freiheit und Fortschritt. Es ist der Teil der Welt, zu dem Menschen aus Krisengebieten aufschauen und auf dem der Begriff Krieg ausschließlich die Seiten der Geschichtsbücher füllt. Es ist der Kontinent mit der längsten Friedensperiode, 77 ununterbrochen andauernde Jahre ohne gewaltsame Auseinandersetzungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges – und 2022, ein Jahr, in dem Krieg seinen Platz weit außerhalb unserer Vorstellungskraft einnimmt, findet die Friedensperiode am 24. Februar ihr erschütterndes Ende.
Stimmen also die Gerüchte um Europa oder war und ist der Kontinent lediglich von einem Scheinfrieden bedeckt, der nur darauf abzielt, die anhaltenden Spannungen zwischen Ost und West zu verschleiern und sich jetzt vor unseren Augen auf ukrainischem Boden entlädt?
Kann man demnach, wie Klaus Geiger für das Nachrichtenportal „Welt“ schreibt, die gewagte These „Der Kalte Krieg war nie vorüber“ aufstellen?
Die Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine prägen die Schlagzeilen sämtlicher Zeitungen seit Monaten – und dabei trifft es zwei Staaten, die ihren gemeinsamen Ursprung im Reich der Kiewer Rus (Link zur russisch-ukrainischen Geschichte) glauben. Die russische und ukrainische Geschichte steht in enger Verbindung zueinander und zeichnet sich trotzdem durch enormes Konfliktpotenzial aus, zum einen durch den Kampf der Ukraine um Unabhängigkeit und Ausleben ihrer Sprache sowie ihrer Kultur und zum anderen durch Russlands Festhalten an einer Ukraine, welche einen Teil ihres Landes bildet.
Bis heute akzeptiert Russland die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat nicht. Stattdessen hält die Auseinandersetzung zwischen beiden Staaten an, trat 2014 durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim seitens Russlands an die Öffentlichkeit und erlebt jetzt ihren Höhepunkt.
Einhergehend mit diesen Spannungen verdichtet sich ein weiterer Konflikt zunehmend – der Ost-West-Konflikt, verborgen im Hintergrund und nur so von Widersprüchlichkeit geprägt. Historisch nimmt dieser zur Zeit der russischen Oktoberrevolution 1917 und der damit einhergehenden Errichtung der Sowjetunion als sozialistischer Staat im Jahr 1922 sowie mit dem Aufstieg der USA zur Weltmacht in den 1920er Jahren seinen Anfang. Der Zerfall der UdSSR markiert das Ende. Spricht man vom Ost-West-Konflikt, meint man die Gesamtheit der politischen, ideologischen, militärischen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen der UdSSR und Westeuropa sowie Nordamerika – zwei Supermächte, die sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 gegenüberstanden.
Die UdSSR zeichnete sich vor allem durch sozialistisches, kommunistisches Denken und Planwirtschaft aus, während die westlichen Staaten im völligen Gegensatz dazu ihr Wesen auf einem Fundament aus Demokratie, Gewaltenteilung und freier, sozialer Marktwirtschaft definieren.
Außerdem standen sich ihre Militärbündnisse als feindliche Militärallianzen gegenüber: die 1949 gegründete NATO als Zusammenschluss westlicher Gebiete, welche bis heute aktiv ist und im Zuge des Ukraine-Krieges immer wieder auftaucht und zum anderen der Warschauer Pakt als Militärbündnis des Ostens, welcher 1955 infolge der Eingliederung der BRD in die NATO ins Leben gerufen wurde und 1991 sein Ende fand.
Der Ost-West-Konflikt basiert dabei auf fünf Ebenen. Dazu zählen der Machtkonflikt, der Systemkonflikt, der Ideologiekonflikt, der militärische Konflikt und der psychologische Konflikt.
Die Feindschaft zwischen beiden Teilen der Welt wurde durch den US-Präsidenten Truman mit der 1947 verabschiedeten „Truman-Doktrin“, die sich deutlich gegen den Kommunismus aussprach und jedem Staat, welcher der Bedrohung der „Sowjetunion“ ausgesetzt war, militärische Unterstützung zusicherte und der „Zwei-Lager-Theorie“ auf Seiten der UdSSR, die eine endgültige Spaltung in zwei ideologische Lager hervorrief, bekräftigt.
Inmitten des Konflikts fanden viele Stellvertreterkriege, auch „heiße Kriege“ genannt, statt; zu den wichtigsten zählen der Vietnamkrieg (1964 – 1975) und der Koreakrieg (1950 – 1953). Aber auch die Berlinblockade 1948/49 und die Kubakrise im Jahr 1962 gehören zu den prägenden Ereignissen. Im Zuge dieser und des atomaren Wettrüstens beider Supermächte in den 1970er Jahren, das die Welt beinahe in einen atomaren Weltkrieg stürzte, erlangte der Ost-West-Konflikt seinen Höhepunkt und wurde zeitweilig zum Kalten Krieg, auf den sich auch die These Geigers bezieht.
Hierbei spricht man von dem Zustand einer aggressiven, wirtschaftlichen und machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen der USA und der UdSSR und ihrer Bündnissysteme auf allen Ebenen. Häufig bezeichnet man den Kalten Krieg auch als Aggregatzustand des Ost-West-Konflikts.
Kann man aber behaupten, dass „der Kalte Krieg nie vorüber war“?
… Fortsetzung folgt …