Circa 36 Stunden Wissenschaft, Wahnsinn und wirklich gute Geschichten – Die NaWi-Fahrt der 10er und der Physik AG

AGs Klassenfahrten und Exkursionen

Manchmal passieren an Schulen kleine Wunder: Da sitzt man seit über einem Jahr jeden Dienstagnachmittag freiwillig in der Physik-AG, schiebt Formeln hin und her, versucht zu verstehen, warum Laser nicht einfach „Ziuuu“ machen dürfen und was schwarze Löcher eigentlich mit Mathematik zu tun haben – und plötzlich schenkt einem Herr Eggert eine komplette Naturwissenschaftsfahrt nach Halle und Leipzig. Einfach so, quasi als Belohnung, weil wir letztes Jahr „so gut gearbeitet haben“. Ein Satz, der zwar irgendwie nach Pädagogik klingt, aber in Wahrheit bedeutet: Wir haben uns den Ausflug redlich verdient. Und so kam es, dass vier von eigentlich sechs Leuten aus unserer Physik-AG schließlich mitfahren durften.

Unsere Physik-AG besteht nicht aus Menschen, die freiwillig Formeln auswendig lernen oder stundenlang über Schwarze Löcher philosophieren. Ganz im Gegenteil: Wir experimentieren, und zwar viel. Dinge anzünden, Dinge explodieren lassen, Dinge drehen, schwingen, knallen oder komische Geräusche machen lassen – das ist unsere Spezialität. Vielleicht schauen uns die Naturwissenschaftler der 10. Klasse genau deswegen manchmal so an, als würden sie sich fragen, ob wir noch alle Elektronen auf der Umlaufbahn haben. Sie musterten uns jedenfalls zunächst wie ein seltenes Naturphänomen. „Warum habt ihr Spaß an Physik? Warum nur?“, stand praktisch in ihren Gesichtern. Aber das legte sich schnell. Denn sobald wir einmal angefangen hatten, uns normal zu verhalten, merkten alle sehr schnell: Wir sind völlig harmlos. Naja, meistens.

Schon die Zugfahrt bot Stoff für mehrere Comedyprogramme. Zuerst stiegen wir in den Zug nach Erfurt. Von dort sollte es eigentlich nach Halle weitergehen. Eigentlich. „Eigentlich“ ist in Verbindung mit der Deutschen Bahn jedoch ein Wort, das man nur mit viel Optimismus verwenden sollte. Der ursprüngliche Zug wurde plötzlich geteilt: Eine Hälfte fuhr nach Halle, die andere nach Eisenach. Und natürlich landeten wir genau in dem Teil, der so voll war, dass man sich eher wie in einer menschlichen Sardinenbüchse fühlte als in einem Zugabteil. Herr Eggert versuchte vergeblich, die Schüler mit seinen Kommentaren zum Lachen zu bringen, was leider kläglich scheiterte – hauptsächlich, weil der Zug aussah wie ein gequetschter Wanderzirkus.

Als wir endlich im richtigen Zugteil landeten und es draußen bereits dunkel wurde, passierte etwas völlig Unerwartetes: Die Fahrt wurde plötzlich schön. Denn wir fuhren durch die nächtlich erleuchteten Chemiewerke von Leuna – in Anblick wie aus einem Science-Fiction-Film: Glühende Rohre, dampfende Türme, Lichter in allen Farben – und das über mehrere Minuten. Fünf bis sechs Minuten fuhren wir durch diese bizarre, faszinierende Industriewelt. Selbst im lauten Waggon wurde es plötzlich still, weil alle wie gebannt aus dem Fenster starrten. Leuna sah aus wie eine Mischung aus Blade Runner und Weihnachtsmarkt. Irgendwie wunderschön, irgendwie surreal.

In Halle angekommen, verstauten wir unsere Koffer nicht in der Jugendherberge, wie man es erwarten würde, sondern im Bahnhof in den Kofferschließfächern. Und direkt ging es weiter – mit der S-Bahn zum Flughafen Leipzig/Halle. Dort erwartete uns schon unser Guide: Dieter, ein ehemaliger Ground-Lotse, der den gesamten Bodenbetrieb eines Flughafens kennt, wie andere Leute ihre Hosentaschen. Und wir ließen uns erstmal etwas zu essen schmecken. Während wir aßen, erzählte uns Dieter die erste große Flughafen-Legende: die Geschichte eines Flugzeugs einer gescheiterten Airline. Dieses Flugzeug stand jahrelang nutzlos herum, weil die Airline pleite ging. Der Flughafen wollte es loswerden, doch die Tochterfirma konnte die Miete nicht zahlen und baute kurzerhand die Triebwerke aus, verkaufte sie und bezahlte damit ihre Schulden, eine wirtschaftliche Logik auf Flughafenniveau. Heute gehört das Flugzeug dem Flughafen und wird vermietet: für Firmenfeiern, Geburtstage, Hochzeiten und vor allem für Filmprojekte. Über 14 Filmproduktionen wurden dort schon gedreht – darunter Avengers Endgame, in dem der halbe Leipziger Flughafen in Schutt und Asche gelegt wird. Und wir saßen in diesem Flugzeug. Das war schon sehr cool.

Wir gingen weiter durch Terminal B, wo Dieter uns erklärte, warum man nur 100 ml Flüssigkeit bei Flugreisen mitnehmen darf. Eigentlich sollte diese Regel längst gelockert sein, aber sie wurde wieder und wieder verlängert – und jetzt sogar ohne Enddatum. Wer also gehofft hat, irgendwann wieder eine große Wasserflasche mit ins Flugzeug zu nehmen, kann den Kopf offiziell in den Sand stecken. Beim Kofferbereich zeigte Dieter uns das System, das die Gepäckstücke scannt. Und dort kam es vor einigen Jahren zu einem Einsatz der Kategorie „Käsekrimi“. Ein Passagier hatte ein großes Stück Gouda aus einem riesigen Käselaib in seinem Koffer. Das Gerät erkannte die Konsistenz – identisch mit C4- Plastiksprengstoff. Zack: Großeinsatz. Fünf Stunden kein Flugverkehr. Am Ende kommentierte die Einsatzleitung trocken: „So ein Käse.“ Wortwörtlich.

Als wir in den Hochsicherheitsbereich wollten, kam es zu einer der lustigsten Szenen der gesamten Tour. Beim Ausweischeck lobte der Mitarbeiter Herrn Eggerts Handschrift. Eine „schöne Männerhandschrift“ nannte er sie. Nur dumm, dass er sie nicht lesen konnte. Die Namen im Dokument waren so schwer zu entziffern, dass der arme Mann mehr raten als prüfen musste. Kurze Zeit später gab es die zweite Lachnummer: Einige aus unserer Gruppe wurden zur Einzelkontrolle rausgezogen, wegen Metallösen an ihren Boots. Und Herr Eggert wurde verdächtigt, ein Messer im Gepäck zu haben. Sein kompletter Rucksack wurde gründlich ausgepackt- ein kleines Chaos, aber sehr unterhaltsam. Dann stiegen wir in einen Flughafenbus, der uns direkt an die Flugzeuge brachte. Und das war für viele von uns das absolute Highlight. Wir standen wenige Meter neben einer Turkish Airlines-Maschine, einer Lufthansa, einem Freebird und einem Marabu-Flieger. Eigentlich wollten wir uns nur den einen Marabu anschauen – und plötzlich landete direkt vor uns ein zweiter. Wir konnten zusehen, wie das Flugzeug abgebremst wurde, die Triebwerke abschaltete, der Caterer anrollte, Koffer ausgeladen und neue eingeladen wurden. Man fühlte sich wie ein kleiner Flughafenmitarbeiter ohne Ausbildung. Es war spektakulär.

In der Feuerwehrhalle ging es humorvoll weiter. „Wir haben auch Frauen!“, rief man uns stolz entgegen. Von 150 Mitarbeitenden waren es genau zwei. Ein echtes Mathehighlight. Die neuen Löschfahrzeuge – fünf Stück für je 1,8 Millionen Euro – bezeichnete man mit einem Lächeln als „echte Schnäppchen“. Außerdem sahen wir die riesigen Schneeräumfahrzeuge, mit denen der Flughafen selbst bei starkem Winterwetter eine Landebahn freihalten kann, ohne den Verkehr zu stoppen. Im Frachthof zeigte Dieter uns die gewaltigen Antonov-Flieger einer ukrainischen Firma, die ihren Sitz inzwischen in Leipzig hat. Die großen Maschinen können über 500 Tonnen hinten und etwa 100 Tonnen vorne in ihrer „Schnauze“ laden. Unfassbar, was so ein Ding tragen kann. Dann durchquerten wir den DHL-Bereich, sahen den Luxustransporteur für Designerware, hörten die Geschichte des 1,50-Meter-Mitarbeiters, der sieben Tonnen Container schieben kann, und liefen so ziemlich jedes Gebäude ab, das der Flughafen zu bieten hat. Die Tour war riesig. Und grandios. Und informativ. Und witzig. Und irgendwann vorbei. Und leider hatten wir vergessen zu klatschen. Herr Eggert nahm uns das ein bisschen übel.

Der Plan war, dass wir danach mit der S- Bahn zurück nach Halle fahren würden. Doch die Zeit kam uns in die Quere. „Wir müssen uns beeilen!“, rief unser Lehrer. Also rannten wir wie olympische Sprintathleten quer über den Bahnhof, hechteten Treppen hinauf, hinüber, hinunter, nur um am Gleis festzustellen: falsches Gleis. Also alles zurück. Noch mal hoch, rüber, runter. Am Ende fuhr die S-Bahn ohnehin später. Wir hätten gemütlich laufen können. Aber wo bleibt da der sportliche Aspekt? Wir holten unsere Koffer aus dem Bahnhofsschließfach und spazierten zur Jugendherberge. Irgendwann nach Mitternacht fanden wir auch den Schlaf.

Am nächsten Morgen konnten wir erstaunlich lange schlafen – bis 7:45 Uhr, was für eine Schulveranstaltung quasi ein Wellnessurlaub ist. Nach dem Frühstück ging es ins Museum für Vorgeschichte. Dort sahen wir die Himmelsscheibe von Nebra, die viele von uns das erste Mal in echt betrachten konnten. Ein Teil der 8. Klasse, der in derselben Woche die Arche Nebra besucht hatte, durfte nun beide Versionen erleben: die Nachbildung dort und das Original hier. Wir bekamen eine Führung, die das astronomische Wissen erklärte. Der Guide war nicht unbedingt der wilde Rocker-Typ, wie Herr Eggert trocken bemerkte, aber inhaltlich passte alles. Und diesmal klatschten wir am Ende auch, denn aus der Sache am Flughafen hatten wir gelernt.

Danach ging es ins Planetarium Halle, wo wir Sternenformationen, kosmische Modelle und viele beeindruckende Effekte sahen. Anschließend liefen wir durch die Ausstellung des Planetariums und mussten feststellen, dass Wissen über Sterne erstaunlich appetitanregend sein kann. Denn danach hatten wir alle riesigen Hunger. Also fuhren wir in die Stadt, holten uns Mittag, und schließlich ging es mit einer – man mag es kaum glauben – pünktlichen Deutschen Bahn zurück nach Sondershausen.

Gegen 18 Uhr kamen wir wieder an. Müde, aber glücklich, beeindruckt und um viele Erfahrungen reicher. Für viele war der Flughafen das größte Highlight – auch für mich. Wenn Schule nur immer so schön wäre. 

Marit Linse

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